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Kluge Köpfe im TITK: Dr. Gulnara Konkin

Was als Austauschprogramm begann, mündet in einer mittlerweile 21-jährigen wissenschaftlichen Laufbahn am TITK. Chemikerin Dr. Gulnara Konkin bereichert seit zwei Jahrzehnten die Abteilung Funktionspolymersysteme. Elektrochrome Systeme wie künstliche Muskelzellen oder textile Applikationen – Dr. Konkins Forschungen sind vielfältig und möchten das Leben leichter machen.

Immer ruhig und stark bleiben – das ist das Lebensmotto der 55-Jährigen. Es zeigt sich besonders in ihrer Art und Weise zu forschen. Probleme oder Fehler verunsichern sie nicht, sondern geben nur Hinweise auf neue Wege und alternative Herangehensweisen: „Nach jedem Projekt kommen mir direkt Ideen, wie wir das Thema weiter behandeln können. Was kann man verbessern, und wie können wir es weiter ausbauen?“

Bestes Beispiel ist eines ihrer jüngsten Projekte – „elmutex: Elektrochrome multifunktionale Textilien“. Konkin entwickelte mit ihrem Team ein Textildisplay, welches mit Hilfe eines Sensors  seine Farbe ändern kann. Mit solchen Displays lassen sich Botschaften wie Warn- oder Notsignale mit einer Farbe visualisieren. Ansatz für die Forschung war die Vereinfachung der Kommunikation in kritischen Situationen. Gerade Kinder oder ältere Menschen können schriftliche Warnungen oft nicht wahrnehmen. Farbsprache ist hingegen eine besonders einfache Methode der Kommunikation: Rot bedeutet Gefahr, blau oder grün hingegen Sicherheit. Dadurch könnten zum Beispiel Krankheiten oder gefährliche Situationen früher erkannt werden. Eine Person, die regelmäßig ihren Blutdruck misst, müsste dank des Displays nicht mehr kleine Zahlen entziffern, sondern kann auf die Farbe vertrauen. Ist der Blutdruck zu hoch, gibt der Sensor ein Signal an ein Steuergerät, welches die Farbe Rot ausgibt.

Feuchte-Erkennungs-Warnsystem für den Pflegebereich

Bei der Vorstellung der Forschungsergebnisse entstand die Idee für das nächste Projekt: Können diese Displays auch in ein Erkennungssystem für Feuchte integriert werden? Denn vor allem im Pflegebereich ist es manchmal schwer erkennbar, ob beispielsweise Inkontinenz-Unterlagen gewechselt werden müssen. Dafür müssen Patienten teilweise unnötig aufgedeckt und gestresst werden. Ein sogenanntes Feuchte-Erkennungs-Warnsystem in Bettunterlagen könnte das analysieren und somit den Arbeitsaufwand der Pflegekräfte und die Stress-Situationen der Betroffenen verringern. Gemeinsam mit zwei Pflegeeinrichtungen soll  in diesem Bereich weiter geforscht werden.

Die Grundlagen für ihre Arbeit in der Elektrochemie schuf Konkin während ihrer langjährigen Zeit an der Universität im russischen Kasan – ihrer Heimatstadt. Schon in der 7. Klasse stand fest, Chemie ist ihre Zukunft. Die Grundlagenarbeit an der Universität gefiel ihr so gut, dass sie dortblieb und 1995 ihre Doktorarbeit über anorganische Koordinationsverbindungen schrieb. Zehn Jahre lehrte und forschte sie an der Universität Kasan, bis sich eine neue Chance auftat.

Prof. Dr. Hans-Klaus Roth, seinerzeit Leiter der Abteilung Funktionspolymersysteme am TITK, hatte durch seine eigene berufliche Laufbahn viele Kontakte nach Russland. Er lud Gulnara Konkin zur Jahrtausendwende ein, als Gastwissenschaftlerin für ein Austauschjahr nach Rudolstadt zu kommen. Aus einem Jahr wurden zwei und aus zwei Jahren nun mittlerweile 21. Der Anfang war nicht leicht, aber auch hier blieb sie ihrem Motto treu – mit Ruhe und Stärke lernte sie Schritt für Schritt die deutsche Sprache, entdeckte den neuen Forschungsbereich der Elektrochemie und machte sich mit fremden Strukturen vertraut.

Der Umstieg von Grundlagenforschung auf wirtschaftsnahe Forschung ist ihr nie schwergefallen.  Die große Abwechslung macht es eher besonders interessant. Denn Wissenschaftler eines wirtschaftsnahen Instituts müssen in vielen Bereichen gleichzeitig up to date sein und bei jedem Projekt von Anfang an den Praxisbezug und die Marktrelevanz im Blick haben. Das ermöglicht große Freiheiten und viel Variation. „Jeder Tag ist anders. Wir sind kein Produktionsstandort, an dem jeden Tag das Gleiche hergestellt wird. Forschung ist immer abwechslungsreich. Ich kann mir Themen, die mich interessieren, aussuchen und verwirklichen“, schwärmt sie.

Handschuh-Exoskelett soll bei eingeschränkter Muskelkraft helfen

Ausgesucht hatte sie sich auch die Forschung zum Thema „Textile Muskeln“. Die ITP GmbH, ein Entwicklungsunternehmen von technischen Textilien, fragte an, ob Interesse an einem Verbundprojekt besteht. Ziel ist es, ein leichtes interaktives Handschuh-Exoskelett zu erforschen und zu entwickeln. Gulnara Konkin war sofort begeistert und sagte zu. Seit gut anderthalb Jahren ist sie am Projekt beteiligt und möchte die Welt für Menschen mit eingeschränkter Muskelkraft leichter machen. Über neuartige textile Aktoren wird die Kraft der Finger unterstützt. Der Ansatz ist physikalischer Natur: Siliziumelektroden werden mit einem Elektrolyten, der beim Anlegen einer Spannung für eine Volumenvergrößerung sorgt, eingelagert. Die Volumenausdehnung, für die man nur wenig elektrische Energie aufwenden muss, wird in eine Krümmung umgewandelt. Durch den Handschuh krümmen sich dann die Finger, und noch vorhandene Ansätze der Muskelkraft werden unterstützt. Menschen, die ihre Hände nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt nutzen, können so beispielsweise wieder selbstständig eine Tasse greifen und ihren Alltag verbessern.

Kraft für die Forschung und Inspiration für neue Ideen sammelt Gulnara Konkin bei der Gartenarbeit. In ihrem Kräuterbeet baut sie heimische Kräuter an, und vom Obst ihrer Bäume kocht sie Marmelade ein. Gesund und fit möchte sie bleiben. Dass sie das ist, hat sie beispielsweise beim Rudolstädter Firmenlauf im Team der TITK-Gruppe mehrfach bewiesen. „So wie es aktuell ist, kann es gerne bleiben“, resümiert Konkin.

Eine Rückkehr nach Russland steht für sie nicht mehr auf der Agenda. Seit elf Jahren ist sie offiziell deutsche Staatsbürgerin. Ihre beiden Söhne sind hier geboren und werden auch in Deutschland bleiben. „Mein Großer interessiert sich sehr für Technik, und der Jüngste wird mal Physiker“, ist sie sich sicher. Sehr dankbar für ihren Werdegang ist sie vor allem Prof. Dr. Roth, der ihr vor 21 Jahren den Weg nach Rudolstadt geebnet hat: „Er hat mein Leben in eine wichtige Bahn gelenkt. Ohne ihn und den heutigen Abteilungsleiter Prof. Dr. Klaus Heinemann wäre ich heute nicht da, wo ich  bin.“

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Dr. Gulnara Konkin arbeitet an elektrochromen Modulen – hier eine Folie, die durch Anlegen einer elektrischen Spannung ihre Farbe ändert und sich auf Knopfdruck auch verdunkeln kann.
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Laboralltag: Dr. Gulnara Konkin mit einer Elektrolytmischung für vielfältige Anwendungen.
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Gesund und fit möchte Frau Dr. Konkin bleiben. Dass sie das ist, stellt sie beim alljährlichen Rudolstädter Firmenlauf regelmäßig unter Beweis. Hier beim Ausklang 2021 mit Kollege Dr. Frank Wendler.